Wann gilt eine Pflegekraft als sozialversicherungsfrei? Sind die staatlich anerkannte Altenpflegerinnen, die auf Vermittlung diverser Agenturen als Pflegekraft für verschiedene Pflegeeinrichtungen oder für einen ambulanten Pflegedienst tätig sind, angestellte oder selbständig?
Das Bundessozialgericht hat sich in mehreren Urteilen im Juni 2019 mit den sozialversicherungsrechtlichen Status von Honorarärzten und Pflegekräften im Krankenhaus befasst. In drei Verfahren (Az. B 12 KR 6/18, B 12 KR 7/18, B 12 KR 6/18) ging es um die Sozialversicherungspflicht von Pflegepersonal in einer Pflegeeinrichtung – diese seien als abhängige beschäftigte und mithin als sozialversicherungspflichtige einzustufen. Für die Praxis wurden wichtige Hinweise für die Vertragsgestaltung aufgezeigt.
Problemlage. Wonach beurteilt sich der Status einer Pflegekraft
Die freiberufliche Tätigkeit von Pflegekräften wird in vielen Bereichen in Frage gestellt. Da die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbständigkeit nicht abstrakt für bestimmte Berufs- und Tätigkeitsbilder erfolgt, ist es möglich, dass ein und derselbe Beruf sowohl in Form der Beschäftigung als auch als selbständige Tätigkeit ausgeübt wird.
Das BSG weist in seinen Entscheidungen darauf hin, dass bei der Statusbeurteilung regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarung auszugehen sei; die Ernsthaftigkeit der getroffenen Vereinbarungen sei zu prüfen. Die Vereinbarung einer freiberuflichen Tätigkeit, bei der der Beschäftigte tatsächlich die Kriterien einer abhängigen Beschäftigung erfüllt, reicht nicht aus. Es kommt darauf an, wie die Beschäftigung des Einzelnen tatsächlich gelebt werde.
Die Qualifizierung der Pflegekräfte als regelmäßig sozialversicherungspflichtig beruht auf durch die Rechtsprechung aufgestellten Kriterien. In der Regel wird als das maßgebliche Kriterium den Umstand betrachtet, ob die Pflegekräfte in die fremde Betriebsorganisation eingebunden sind. Wenn eine Unterscheidbarkeit im Verhältnis zu angestellten Mitarbeitern fehlt, so ist ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu bejahen. Das BSG stellt darauf ab, dass die regulatorischen Vorgaben des SGB XI und des Heimrechts als Weisungen einzustufen sind und einzelne Freiräume bei der Ausgestaltung der Tätigkeit nicht ausreichend sind, um den Status als selbständig zu beurteilen.
Kriterien für die Einordnung – für eine selbständige Tätigkeit könnte sprechen wenn eine Auftragnehmerin bei der Erbringung ihrer Leistungen:
- in der Einteilung ihrer Arbeitszeit frei ist und die Organisation ihrer Tätigkeit stets selbst in der Hand hat;
- nicht vollständig in die Arbeitsabläufe und die Struktur der Einrichtung eingebunden ist und die Übernahme von Aufträgen ablehnen kann;
- trägt das eigene Unternehmerrisiko und im Fall des Nichttätigwerdens erhebliche Verluste hinzunehmen hat; es ist ein Honorar und keinen Stundenlohn vereinbart worden; bei Zahlungsausfall hat sie keinen eigenständigen Vergütungsanspruch, nur tatsächlich erbrachte Leistungen werden vergütet;
- dem Honorarvertrag lassen sich keinerlei für Arbeitsverträge typische Regelungen, wie etwa Regelungen zu Urlaubsansprüchen und Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall, entnehmen; sie erhält kein Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld sowie Leistungen bei Krankengeld oder nach dem Mutterschutzgesetz;
- eigenes Kapital in erheblichem Umfang für ihre Tätigkeit beim Auftragsgeber einsetzt, in nicht unerheblichen Umfang auch eigene Arbeitsmittel nutzt; ihre finanziellen Angelegenheiten selbst abwickelt;
- in der Außenwelt gegenüber den Patienten als Selbständige, mit eigenem Logo, im eigenen Namen etc. auftritt;
- unmittelbar etwaigen Regressansprüchen ausgesetzt ist; hierfür verfügt sie über eine Unternehmerversicherung/Berufshaftpflichtversicherung; sie trägt das berufliche Risiko selbst.
Aus dem Umkehrschluss gilt: Wenn die Pflegekräfte in den Strukturen einer Betriebsorganisation tätig sind, auf die sie keinerlei unternehmerischen Einfluss nehmen können, wenn sie wie eine angestellte Pflegekraft in den Betriebsabläufe eingebunden sind und sämtliche Ressourcen der Einrichtung nutzen, sind sie als abhängig beschäftigt tätig und nicht als selbständig anzusehen.
Somit unterliegen sie der Sozialversicherungspflicht.
Die höchstrichterliche Beurteilung:
maßgeblich ist die bestehende persönliche Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit
BSG hat in seiner Rechtsprechung die Weisungsgebundenheit als entscheidendes Kriterium für die Statusbeurteilung hervorgehoben.
Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Eine abhängige Beschäftigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist.
Entscheidend ist, ob der Dienstleistende aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.
Die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg
Das LSG Berlin-Brandenburg folgt die obige Rechtsprechung und überträgt sie auf die ambulante Pflege. In seinem jüngsten Beschluss vom 13. Mai 2020, Az. L 9 KR 93/17, führt es aus, dass die Indizien zur Statusbeurteilung entsprechend einer Pflegetätigkeit in einer stationären Pflegeeinrichtung zu gewichten sind. Dem LSG zufolge ist die regelmäßige Erbringung von ambulanten Pflegeleistungen für einen anderen Vertragspartner als den Patienten in der Regel als abhängige Beschäftigung aufzufassen, es sei denn, es treten besondere Umstände hinzu, die die Abhängigkeit der Pflegefachkraft im Einzelfall aufheben.
In seiner Entscheidung vom 02. April 2020 zum Az. L 1 KR 358/18 hob das LSG Berlin-Brandenburg hervor, dass: „Ist eine für einen ambulanten Pflegedienst tätige Pflegekraft in deren betriebliche Organisation eingegliedert und den Weisungen ihres Auftraggebers unterworfen, hat sie ein unternehmerisches Risiko nicht zu tragen, erfolgt die Vergütung auf der Grundlage eines vereinbarten Stundenlohns und tritt nach außen ausschließlich der Pflegedienst als Leistungserbringer auf, so ist von dem Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.“
Die Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von dem Rechtsverhältnis eines freien Dienstnehmer ist daher nach wie vor eine auslegungsbedürftige Frage, eine Frage der Gesamtbeurteilung sämtlicher Umständen des Einzelfalles.
Konsequenzen für die Praxis – das Risiko vermeiden.
Resümierend gilt:
Die Frage, ob eine abhängige oder selbständige Tätigkeit vorliegt, bestimmt sich anhand von mehreren unterschiedlichen Kriterien, die in einer Gesamtschau zu betrachten sind. So können dieselben Kriterien vorliegen, die aber in einem Fall zu dem Ergebnis führen, dass eine abhängige Beschäftigung vorliegt während eben diese Kriterien bei der Auswertung in einem anderen Sachzusammenhang dazu führen, es liegt eine selbständige Tätigkeit vor. Entscheidend ist das Gesamtbild der Tätigkeit, und nicht, welche Indizien rein zahlenmäßig überwiegen.
Wenn der Sozialversicherungsträger Scheinselbständigkeit vermutet, könnte die Vermutung widerlegt werden, indem geeignete Unterlagen vorgelegt werden und die Umstände des Einzelfalles geschildert werden.
Bei einer Falschbeurteilung der Sozialversicherungspflicht konfrontieren sich die Betroffenen mit hohen Zahlungsnachforderungen der Rentenversicherung für die Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Darüber hinaus bestehen strafrechtliche Risiken für den Fall, wenn bedingt vorsätzlich Sozialversicherungsbeiträge bei scheinselbständig beschäftigten Personen nicht abgeführt werden (gem. § 266a StGB).
Die Pflegekräfte sowie die diese beschäftigten Auftraggeber sollten daher sich rechtzeitig rechtlich beraten lassen, damit ihre Tätigkeit und Vertragsgestaltung den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprechen kann. Die Betriebsabläufe müssen rechtzeitig geprüft und kritisch hinterfragt werden und die personenbezogenen Kriterien im Vorfeld der Beschäftigung beurteilt und gegebenenfalls umgestellt werden.
Sollten Sie bei diesen Fragen unsicher sein, beraten wir Sie gern.